Obwohl dieser Artikel in Anlehnung an das hervorragende Buch von Prof. Remo Largo geschrieben wurde, ist leider das Hauptthema des Buches mit keinem Wort erwähnt worden: Die Mütter haben es in der Hand, ob Kinder unter einer Scheidung leiden müssen oder nicht. Wenn eine Mutter ihre Verbitterung, ihren Hass und ihre Rachsucht über das Scheitern der Ehe überwinden kann und den Kindern trotzdem eine normale Beziehung zum Vater ermöglicht, ja diese sogar fördert, dann dürfen Kinder ohne grosse Probleme trotz Scheidung aufwachsen. Nur so erkennen die Kinder, dass ihnen die Eltern nicht verlorengegangen sind, dass sie weiterhin immer für sie da sind und ihre Verantwortung als Vater und Mutter wahrnehmen.
Wenn aber die Mutter aus Hass auf den Ex-Ehemann die Beziehung zwischen Vater und Kind verhindert, negativ beeinflusst oder gar verbietet, dann leidet das Kind, denn dann wird ihm der Vater vorenthalten und die Familie ist tatsächlich «geschieden», auseinander gerissen. Das Kind leidet dann unter einem furchtbaren Loyalitätskonflikt und stellt sich fast immer aus überlebensstrategischen Gründen auf die Seite der Mutter, von der es abhängig ist. Diese innere Zerrissenheit, nicht beide Elternteile gleich lieben zu dürfen, den Vater nicht gerne an seinem neuen Wohnort (dem «feindlichen Territorium») besuchen zu dürfen, verursacht erst das Leiden des Kindes. Diese Mütter sonnen sich in der Opferrolle, um sich so das Mitleid des Kindes zu sichern, welches immer möchte, dass es beiden Elternteilen gleich gut geht. Mitleid ist aber ebenfalls Leiden, welches ganz besonders aus diesen Gründen für ein Kind unbedingt vermieden werden kann und muss.
Claudia Solari Bozzi Girtannerstr. 12, 9010 St. Gallen
Können Scheidungskinder glücklich sein? Wahrscheinlich verhält es sich ähnlich wie bei den «glücklichen Menschen». Es bedarf einer Definition. «Glückliche Scheidungskinder» ist ein Schlagwort in Anlehnung an das gleichnamige Buch von Remo H. Largo, der jedoch mit seinen Ratschlägen zumindest in die richtige Richtung weist.
Daniela Purchase, Mediatorin bei der Beratungsstelle für Familien in St. Gallen, erwähnt ebenfalls günstigere und weniger günstige Umstände. Die Trennung von den lieb gewordenen Eltern fällt Kindern dann leichter, wenn sich für sie möglichst wenig verändert, wenn sie am selben Ort wohnen und die weiteren Bezugspersonen die gleichen bleiben: Oma, Opa, die Nachbarn, die Kameraden.
Von günstigen Voraussetzungen profitierten offensichtlich auch die Kinder, wie sie in den beiden Erzählungen ihrer Mütter (Kästen links und rechts) beschrieben werden.
Was aber kann konkret dem Kind zuliebe getan werden, wenn Eltern streiten und sich das Klima in der Familie verschlechtert? «Die Kinder müssen wissen, was los ist. Die Eltern müssen sich überlegen, wie sie ihre Kinder informieren», sagt Daniela Purchase. Denn Kinder spüren, dass etwas nicht mehr stimmt, aber sie wissen nicht weshalb. Vor allem kleine Kinder vermuten dann, es sei ihre Schuld, und leiden noch mehr. Falsch ist deshalb, die Krise vor den Kindern verbergen zu wollen. «Eltern müssen die Sprachlosigkeit überwinden, der Trauer und dem Schmerz eine Stimme geben», sagt Purchase.
Sich den Kindern mitzuteilen, kann in einfachen Sätzen geschehen: «Wisst ihr, wir vertragen uns in letzter Zeit nicht mehr so gut und haben deshalb zusammen eine schwierige Phase.» Gleichzeitig müssen Eltern Distanz gewinnen und versuchen, aus dem Kreislauf von gegenseitigen Vorwürfen, Wut, Aggressionen und Enttäuschungen auszusteigen. Sie müssen zu Konfliktpartnern werden, die miteinander verhandeln.
Sie sollen dem Kind das Gefühl von Sicherheit geben, mit Worten wie: «Du kannst dich auf uns verlassen. Wir haben zwar zusammen Probleme, aber für dich sind wir beide weiterhin da.»
Wenn Eltern vor Kindern streiten, was nicht immer zu vermeiden ist, sollen sie sich nach Möglichkeit nicht beleidigen und die Kinder nicht einbeziehen. Den Kindern muss vielmehr deutlich gemacht werden, dass sie keinerlei Schuld trifft an der Auseinandersetzung.
Kinder haben die Familie als Ort der Einheit und Geborgenheit erlebt. Nun bricht für sie eine Welt zusammen, doch die Hoffnung, dass Papa und Mama wieder zusammenfinden, lebt weiter. Das ist oft eine trügerische Hoffnung. Wenn die Scheidung naht, gilt es auch hier, die Kinder nicht im Ungewissen zu lassen. Sie sollen auch erfahren, was mit ihnen nach der Trennung geschieht. Müssen sie umziehen, die Schule wechseln?
Wie Kinder die Situation nach der Scheidung erleben, hängt von vielen Umständen ab. Wie ist das Besuchsrecht geregelt? Wie kommen die Eltern zurecht? Dominiert weiterhin die Zwietracht oder doch allmählich die Vernunft?
«Eltern wie Kinder können den Trennungsschmerz überwinden», sagt Daniela Purchase, «aber das Schlagwort von den glücklichen Scheidungskindern muss man in einen Zusammenhang stellen. Nämlich, dass eine Ehekrise und eine Scheidung heutzutage im Leben eine normale Erscheinung sein kann.»
Krisen gehören zum Leben und treffen auch Menschen ohne Ehekrach, sogenannte «glückliche Menschen». So betrachtet gibt es auch «glückliche Scheidungskinder».
Fredi Kurth
Broschüre zum Thema: «Eltern bleiben». Informationen für Eltern in Trennung. Verlag Pestalozzianum.
Die Beratungsstelle für Familien in St. Gallen (gegründet 1909) bietet Familien, die in Krisen geraten, Beratung an. Im Herbst 2007 wird sie ein Projekt lancieren, welches die Position der Kinder stärken soll, deren Eltern sich getrennt haben. Eine Plakatausstellung wird betroffene Eltern und Kinder zu Wort kommen lassen, positive Herangehensweisen aufzeigen und Eltern ermutigen, bei Fragen zu Trennung und Scheidung spezifische Beratung zu beanspruchen.
Telefon 071 228 09 80 www.ihre-beratungsstelle.chMartina Becker* erzählt: Ich lebte in einer komischen Ehe. Mein Mann, ein Musiker aus England, führte den Haushalt, während ich zu 100 Prozent arbeitete. Die Hausarbeit musste ich am Abend dann doch noch erledigen, während er wenigstens für die beiden Töchter da war. «Da war» bedeutete, dass er ihnen ziemliche Freiheit gewährte. Früher hiess das einmal «antiautoritäre Erziehung». Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, herrschte das Chaos. Es dauerte fast zwei Stunden, bis die Kinder im Bett waren. Er war nie willens zu arbeiten.
2004 wurde die Ehe nach sieben Jahren geschieden. Auf mein Betreiben hin. Ich hatte meinen Mann einige Male gewarnt, ehe ich ihn mit der vorbereiteten Trennungsvereinbarung überraschte. Nach einer halben Stunde unterschrieb er.
Die Kinder überstanden die Scheidung gut. Es war ihnen egal, wer sie betreute. Sie fanden es lässig in der Kinderkrippe. Auch am Abend war's plötzlich ruhig. Die Kinder waren in fünf Minuten im Bett, ohne Theater. War ich früher nur Aussenstehende, jene, die heimkam und schimpfte, bin ich inzwischen zur wahren Mutter geworden.
Die Töchter, die in die 1. und 2. Klasse gehen, werden von einer Tagesmutter betreut. Am Abend hole ich sie ab, während ich immer noch zu 100 Prozent auf einem Institut an der Uni arbeite. Das ist schon finanziell notwendig. Weil ich gut verdiene, erhalte ich keine Sozialleistungen. Für die Betreuung der Kinder gehen aber 45 Prozent meines Einkommens weg. Ich lebe am Existenzminimum. Dennoch ist das Leben einfacher geworden, und wenn die Kinder bald selbständiger sind, wird die Geldknappheit geringer.
Die Beziehung zum Vater ist ziemlich eingeschlafen. Wenn er sich sechs Monate nicht mehr meldet, ist das für die Kinder eine lange Zeit. Obwohl er ihre Bezugsperson war, hielt sich der Trennungsschmerz in Grenzen. Das Positive aus dem Chaos: Durch den Vater verstehen sie recht gut Englisch.
* Name geändertErika Sennhauser* erzählt: Mein Mann und ich haben vor 13 Jahren geheiratet, leben seit drei Jahren getrennt und stehen nun vor der Scheidung. Bei uns gab es ein klassisches Auseinanderwachsen. Wir haben alles versucht, auch eine Ehetherapie – ohne Erfolg. Für die Kinder, eine Tochter und ein Sohn, war die Lage sehr schwierig. Wir spielten zwar nach aussen die glückliche Familie, aber daheim gab es oft Streit, verbale Aggression. Der Frust übertrug sich auf die Kinder. Hilfreich war in dieser Lage die Mediation durch die Beratungsstelle für Familien. Wir haben den Kindern von unserer Situation erzählt, wir haben ihnen gesagt, dass wir ihre Eltern bleiben, uns jedoch als Paar trennen.
Die Mediation selbst fand ohne Kinder statt, um sie vor zu viel Emotion zu schützen. Die Trauer war eh noch gross. Wir versuchten die Kinder davon zu überzeugen, dass wir sie immer noch liebten.
Mein Mann sieht die Kinder jedes Wochenende, einmal von Freitag bis Montag, das nächste Mal von Sonntagabend bis Dienstagvormittag.
Mein Leben hat früher schon eine andere Richtung genommen, indem ich eine neue Ausbildung begann und mich beruflich neu etablierte. Das hatte aber nichts mit der Trennung zu tun. Ich arbeite jetzt selbständig daheim und habe zudem meine Mutter im Haus, die sich, wie die Schwiegereltern, ebenfalls um die Kinder kümmert.
Das Mädchen ist elf- und der Knabe achtjährig. Ich möchte hier natürlich keine Werbung für eine Scheidung machen, aber die Kinder haben sich inzwischen wieder gefangen und die Enttäuschung überwunden. Sie fühlen sich nicht mehr in einer aussergewöhnlichen Situation. Sie begegnen in der Nachbarschaft Kindern, deren Eltern ebenfalls nicht mehr zusammenleben. Sie haben zwar immer den Wunsch, dass Mama und Papa zusammenkommen. Aber sie wissen, dass dies nicht möglich sein wird.
* Name geändert.