Ihre Geschichten unterscheiden sich, aber sie kämpfen um die gleiche Sache: Ums gemeinsame Sorgerecht. Acht Väter luden einen Richter vergangene Woche zum Gespräch nach Weinfelden.
andreas fagetti
Es gibt zwar auch Mütter ohne Sorgerecht. Aber meistens sind es Väter, die nach einer Scheidung oder Trennung von der Erziehung der Kinder ausgeschlossen werden, falls es die ehemalige Partnerin darauf anlegt. Selbst gerichtlich festgehaltene Besuchszeiten und Ferienregelungen sind dann mitunter nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Zwar kann in einem solchen Fall der sorgeberechtigte Elternteil mit Busse oder sogar Gefängnis bestraft werden, aber durchgesetzt wird das Besuchsrecht mit Hinweis auf das Kindswohl (Behörden) oder aus Angst, den Kontakt zu den Kindern ganz zu verlieren (Väter), offenbar nur selten. Auf solche Erfahrungen jedenfalls verweist die Vereinigung Väter ohne Sorgerecht. Immerhin einigt sich in der Schweiz mittlerweile beinahe ein Drittel der Scheidungspaare auf das gemeinsame Sorgerecht, und Kinder können inzwischen via richterliche Anhörungen mitreden. Allerdings stellt «Väter ohne Sorgerecht» auch hier eine Diskrepanz zwischen «Theorie» und Praxis fest.
Betroffene Väter wie der Arboner Patrick Baumann wissen davon ein Lied zu singen. Sie kämpfen für eine klare gesetzliche Regelung – im Minimum für das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall. Ihre jüngste Forderung geht mit dem paritätischen Sorgerecht als Regelfall einen radikalen Schritt weiter. Paritätisches Sorgerecht – wie es die USA kennen – bedeutet nicht nur eine gemeinsame Erziehung, sondern auch eine paritätisch aufgeteilte Betreuung als Diskussionsgrundlage bei einer Scheidung. Denn manche Väter erleben oder erlebten trotz nachgewiesenem Engagement und der Bereitschaft, zugunsten der Kinderbetreuung die Arbeitszeit zu reduzieren und Betreuungsarbeit zu übernehmen, wenig Entgegenkommen – auch seitens der Behörden. «Die haben oft ein verkrustetes Familienbild», empört sich Herbert K.*. Früher habe man den Vätern vorgeworfen, sie beteiligten sich nicht an der Erziehung und Betreuung der Kinder. «Und nun, da sich immer mehr Männer an der Erziehung und Betreuung der Kinder beteiligen, hält man krampfhaft an alten Vorstellungen fest. Das ist doch ewiggestrig!» Aber er ist sich sicher: Junge Frauen sehen das gemeinsame Sorgerecht nicht mehr als Kampfgebiet. Als er kürzlich in Wil Unterschriften für eine Petition zugunsten des gemeinsamen Sorgerechts sammelte, hätten alle jungen Frauen ohne Zögern unterschrieben.
Derzeit sind in Bern Bestrebungen im Gang, das Scheidungsrecht dahin gehend zu überarbeiten. Eine entsprechende Vorlage befindet sich in Vorbereitung. Aber die Angelegenheit ist höchst umstritten. Misstrauen und harte Auseinandersetzungen gehen auf dem politischen Parkett weiter. Dabei verlaufen die Fronten querbeet, auch unter Frauen. Parteipolitisch akzentuieren sich die Trennlinien klarer: Die Linke spricht sich mehrheitlich gegen ein gemeinsames Sorgerecht als gesetzlich festgeschriebener Regelfall aus, während die bürgerlichen Parteien dafür eintreten.
Für Herbert K. kommt die Gesetzesänderung ohnehin zu spät. Wenn es so weit sein wird, sind seine Kinder bereits erwachsen. Er lebte mit seiner Partnerin im Konkubinat und hatte daher eine besonders schwierige Ausgangslage. Aber er kämpfte hartnäckig und hat schliesslich die Kontaktregelung mit einer Klage durchgesetzt, als seine ehemalige Partnerin sich nicht daran hielt. «Das würde ich jedem empfehlen», sagt er an diesem Abend im Restaurant Löwen in Weinfelden. Zuwarten möchte er allerdings nicht, bis die Gesetzesmühlen in seinem Sinne mahlen. Und daher fragt er den Richter vom Thurgauer Obergericht, der sich an diesem Abend für eine Aussprache und Auskünfte zur Verfügung stellt: «Könnte man nicht ein Gremium mit allen Beteiligten bilden und so versuchen, die gegenwärtige Praxis zugunsten von betreuungswilligen Vätern zu ändern?» Alle Fragen aus dem Kreis der Väter stossen beim Oberrichter auf Wohlwollen. Aber auch nicht viel mehr. Er kann ihnen nichts versprechen. Und konfrontiert manche an diesem Abend geäusserten Wunschvorstellungen mit der Realität.
Dennoch sind die acht Väter für den Moment zufrieden. Ein Entscheidungsträger hat sich Zeit genommen und ihnen zugehört. Vielleicht bleibt ja doch etwas hängen. Etwa die Geschichte von Robert S.*, der sich hauptsächlich um die Kinder kümmerte, während die Frau Karriere machte. Jetzt steckt er in einer Mediation. Er hätte gerne das gemeinsame Sorgerecht. Doch seine Frau will nun plötzlich nichts mehr davon wissen, obschon sie ihrem Mann attestiert, ein guter Vater zu sein.
Vielleicht beeindruckt ihn die Geschichte von Samuel B.*. Auch er kümmert sich um seine Kinder. Er wohnt im selben Quartier wie die Kinder, wenige Meter von der Wohnung seiner Exfrau. An einem Sonntagabend stand plötzlich die Polizei vor der Tür und forderte die Herausgabe der Kinder. Die Mutter hatte sie geschickt. Samuel B. war perplex. Bislang war es üblich gewesen, dass die Kinder nach einem Besuchswochenende am Montagmorgen von Vaters Wohnung aus in die Schule gingen. Solche Geschichten empören die Väter. Sie fühlen sich der Willkür ausgeliefert. Wenn der Elternteil mit dem Sorgerecht alle Fäden in der Hand habe und diese Macht missbrauche, entfremde das die Kinder dem anderen Elternteil. Das aber schade den Kindern.
*Namen von der Redaktion geändert
Zwei Nachbarländer der Schweiz kennen bereits das gemeinsame Sorgerecht: Italien und Deutschland. In Österreich gibt es kein gemeinsames Sorgerecht, dafür haben Kinder und Jugendliche ein wesentlich grösseres Mitspracherecht. Auch in Frankreich existiert kein gemeinsames Sorgerecht, dafür eine «gemeinsame elterliche Autorität» in Schul- und Ausbildungsfragen. In Belgien, Australien und Italien steht zudem seit 2006 als Präferenz die paritätische Betreuung im Gesetz. In den USA ist die paritätische Betreuung als Regelfall eingeführt. Seither sinkt die Scheidungsrate signifikant. (fa)