dgy. Bern, 20. Juli
Eine parlamentarische Forderung in der harmlosen Form eines Postulates mit Unterstützung aus allen Fraktionen, vom Bundesrat zur Annahme empfohlen und schliesslich im Nationalrat mit 136 zu 44 Stimmen mehr als deutlich überwiesen: Nichts deutet so gesehen darauf hin, dass es sich bei der Einführung des gemeinsamen Sorgerechts als Regelfall auch bei nicht und nicht mehr verheirateten Eltern um eine Angelegenheit handelt, über die überaus emotional und teilweise quer durch die Parteien gestritten wird. Nach den Sommerferien, voraussichtlich im Oktober, will der Bundesrat die vom Nationalrat verlangte Vorlage in die Vernehmlassung schicken, deren Ziel es ist, die gesetzlichen Grundlagen für die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall unabhängig vom Zivilstand der Eltern zu schaffen. Schon heute darf als sicher gelten: Der Streit darüber geht so erbittert weiter, wie er begonnen hat.
Dabei sind sich in einem Punkt alle einig: Wenn sich die Eltern scheiden lassen, sollen nicht die Kinder darunter leiden. Was dies konkret bedeutet, ist jedoch stets umstritten – nicht nur im konkreten Scheidungsfall, sondern ebenso auf abstrakter und politischer Ebene. Seit dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechtes im Jahre 2000 haben auch Eltern, die nicht oder nicht mehr miteinander verheiratet sind, die Möglichkeit, die elterliche Sorge für ihre Kinder gemeinsam auszuüben. Voraussetzung ist allerdings, dass beide Eltern mit der gemeinsamen Sorge einverstanden sind. Das bedeute faktisch, dass ein Mann gegen den Willen der Frau keine Chance habe, Mitinhaber der elterlichen Sorge zu werden und Erziehungsverantwortung zu übernehmen, stellte Nationalrat Reto Wehrli (cvp., Schwyz) fest, der das Postulat vor vier Jahren einreichte. Das Recht benachteilige heute jene Väter, die nicht einfach eine Zahlvaterschaft ausüben wollten.
Die Forderung nach gemeinsamem Sorgerecht als Anliegen im Namen der Gleichstellung zugunsten der Männer – das provozierte prompt den Widerstand vor allem von linker Seite: Heute sei die egalitäre Aufgabenteilung zwischen den Eltern nicht die Regel, weshalb die Forderung nicht auf dem Boden der Realität stehe, wurde der Ball von den Gegnern zurückgespielt, allen voran durch SP-Vertreterinnen einer Generation, für die der Kampf um Frauenrechte identitätsstiftendes Thema war. Innerhalb der Linken geriet die Angelegenheit so zum Streit zwischen den Geschlechtern und Generationen. Ein knappes Drittel der SP-Fraktion wehrte sich nicht gegen Wehrlis Forderung, bei den Grünen war es gar die Hälfte – die Wogen gingen entsprechend hoch: So engagiert wurde die Debatte vor zweieinhalb Jahren im Nationalrat bisweilen geführt, dass sich der damalige Justizminister Christoph Blocher zum Aufruf nach Mässigung gezwungen sah: «Ich komme mir zeitweise vor, als ob wir hier an einer Kampfscheidung teilnehmen.»
Bis heute sind die Fronten auch in Kreisen Betroffener weitgehend unversöhnlich geblieben. Der Verein Verantwortungsvoll erziehende Väter und Mütter kämpft engagiert für das Anliegen, die schweizerische Vereinigung für gemeinsame Elternschaft organisierte im Frühling gar eine Kundgebung auf dem Berner Waisenhausplatz. Ebenso entschieden warnt der Verband alleinerziehender Mütter und Väter vor «Experimenten auf dem Rücken der Scheidungskinder». Beide Seiten verweisen zur Untermauerung der eigenen Argumentation auf Studien: Eine deutsche Untersuchung habe ergeben, wissen die Befürworter, dass die gemeinsame Sorge die Kommunikation und Kooperation verbessere und das Konfliktniveau zwischen den Eltern reduziere. Die Gegner verweisen lieber auf ein anderes Papier, welches beweise, dass seit der Einführung der gemeinsamen elterlichen Sorge in Deutschland Streitverfahren deutlich zugenommen hätten, in denen Gewalt, massive psychische Beeinträchtigungen oder Alkoholismus des getrennt lebenden Elternteils festgestellt würden.
Auch wenn das Recht geändert wird, bedeutet dies indessen nicht, dass die Eltern das Sorgerecht immer gemeinsam ausüben können. Der Richter soll die Sorge aber nur noch dann einem einzigen Elternteil übertragen können, wenn substanzielle Gründe dies erfordern. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Vater oder die Mutter noch nicht achtzehnjährig wäre und das Elternrecht schon deshalb nicht ausüben könnte oder ein Partner aus anderen Gründen dazu offensichtlich nicht in der Lage wäre. Auch nach neuem Recht, wie es der Bundesrat in die Vernehmlassung schicken wird, stünde aber das Kindswohl im Vordergrund. Unter der bisherigen Regelung wird die gemeinsame elterliche Gewalt auf Wunsch beider Partner übrigens nur bei einer Minderheit aller Scheidungen beibehalten – gemäss einer allerdings etwas älteren Untersuchung des Bundesamtes für Justiz etwa in rund einem Viertel aller Fälle. Vor drei Jahren, nachdem Wehrli seine Forderung gestellt hatte, erhob das Amt unter Richtern, Anwälten und Mediatoren die Meinung der vor der Einführung ebenso umstrittenen Regelung der gemeinsamen elterlichen Gewalt auf Antrag und zu einer allfälligen Revision. Fazit: Drei Viertel der Befragten waren mit der jetzigen Regelung zufrieden – nur ein gutes Drittel könnte sich mit einer Gesetzesänderung zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge als Regelfall anfreunden.