Tagblatt vom 29.05.2007

«Jetzt die wahre Mutter»

Martina Becker* erzählt: Ich lebte in einer komischen Ehe. Mein Mann, ein Musiker aus England, führte den Haushalt, während ich zu 100 Prozent arbeitete. Die Hausarbeit musste ich am Abend dann doch noch erledigen, während er wenigstens für die beiden Töchter da war. «Da war» bedeutete, dass er ihnen ziemliche Freiheit gewährte. Früher hiess das einmal «antiautoritäre Erziehung». Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, herrschte das Chaos. Es dauerte fast zwei Stunden, bis die Kinder im Bett waren. Er war nie willens zu arbeiten.

2004 wurde die Ehe nach sieben Jahren geschieden. Auf mein Betreiben hin. Ich hatte meinen Mann einige Male gewarnt, ehe ich ihn mit der vorbereiteten Trennungsvereinbarung überraschte. Nach einer halben Stunde unterschrieb er.

Die Kinder überstanden die Scheidung gut. Es war ihnen egal, wer sie betreute. Sie fanden es lässig in der Kinderkrippe. Auch am Abend war's plötzlich ruhig. Die Kinder waren in fünf Minuten im Bett, ohne Theater. War ich früher nur Aussenstehende, jene, die heimkam und schimpfte, bin ich inzwischen zur wahren Mutter geworden.

Die Töchter, die in die 1. und 2. Klasse gehen, werden von einer Tagesmutter betreut. Am Abend hole ich sie ab, während ich immer noch zu 100 Prozent auf einem Institut an der Uni arbeite. Das ist schon finanziell notwendig. Weil ich gut verdiene, erhalte ich keine Sozialleistungen. Für die Betreuung der Kinder gehen aber 45 Prozent meines Einkommens weg. Ich lebe am Existenzminimum. Dennoch ist das Leben einfacher geworden, und wenn die Kinder bald selbständiger sind, wird die Geldknappheit geringer.

Die Beziehung zum Vater ist ziemlich eingeschlafen. Wenn er sich sechs Monate nicht mehr meldet, ist das für die Kinder eine lange Zeit. Obwohl er ihre Bezugsperson war, hielt sich der Trennungsschmerz in Grenzen. Das Positive aus dem Chaos: Durch den Vater verstehen sie recht gut Englisch.

* Name geändert