Die Leidtragenden sind die Kinder
Bisher wird nur in einem Viertel der Scheidungsfälle vereinbart, dass Mutter und Vater gemeinsame gesetzliche Vertreter ihrer Kinder sind. Ein geschiedener Vater ohne Sorgerecht berichtet, weshalb er sich vom Alltag seiner Kinder ausgeschlossen fühlt.
Sein Tagebuch hat er mitgebracht. Es ist ihm Begleiter und Gedankenstütze zugleich. Vier Jahre sind seit der Scheidung vergangen, doch für Reto, 50, sind die Geschehnisse wie eine schlecht heilende Wunde. Die Verletzungen sitzen zu tief: Seine Frau, die ihn innerhalb zweier Wochen aus dem Haus komplimentierte, seine Tochter und die beiden Buben im Teenageralter, die er fortan nur noch gemäss der gesetzlichen Vereinbarung sehen darf.
«Du hast unsere Familie zerstört», hat mir meine Frau immer wieder vorgeworfen. Eine ihrer zahlreichen Schuldzuweisungen war, ich sei ein ewiger Junggeselle geblieben. «Junggeselle? Das lässt sich doch von einem Mann behaupten, der keinen Familiensinn hat und kaum zu Hause ist. Aber ich war eben immer der Schwarze Peter», sagt Reto und erzählt, wie er mit seinen Kindern eine offene Beziehung pflegte, sie mit ihrem Vater über alles und jedes sprechen konnten. «Ich fuhr sie zu Sport- und Freizeitveranstaltungen, und am Wochenende unternahmen wir viele Ausflüge. Leider kam meine Frau selten mit.»
Für die erste Zeit fand er Unterschlupf bei Freunden, dann mietete er eine 1-Zimmer-Wohnung; die Einsamkeit war ein treuer Begleiter. Er suchte Trost bei der Arbeit. Beim Anwalt wurde das Sorgerecht seiner Frau übertragen und für ihn ein zweiwöchentliches Besuchsrecht ausgehandelt.
«Eine Frau ist heute von vorneherein in der stärkeren Position. Sie behält die Kinder, damit das Haus und muss im Komfort nur wenig Abstriche machen. Wir abgeschobenen Väter sind nur halb so viel wert, müssen strampeln, damit wir nicht untergehen. Denn von ihr eine Erhöhung des Arbeitspensums zu verlangen, obwohl die Kinder schon älter waren, hat sie als unzumutbar zurückgewiesen», sagt er resignierend. Nach der Scheidung zog sie in eine grosse Wohnung – «es lag wieder an mir, in der schwierigen Wirtschaftslage einen Käufer für das Haus zu finden» –, und von nun an geht sein halber Lohn für Alimentenzahlungen weg. Es habe ihn nie geschmerzt, für die Kinder zu bezahlen, betont er. «Erst wird man fortgejagt, dann ist man als Zahlvater gerade gut genug.» Wäre für ihn, der hundertprozentig arbeitet, ein gemeinsames Sorgerecht überhaupt durchführbar gewesen? «Ich hätte es mir eingerichtet. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.» Doch nach reiflicher Überlegung verzichtete er, weitere juristische Schritte vorzunehmen: «Ein Kampf fügt den Kindern zusätzliches Leid zu.»